Ich könnte platzen!

Ach was, lasst euch mal nicht von dieser Tagline erschrecken, tatsächlich bin ich im Moment derart am Boden, dass mir Platzen als viel zu anstrengend erscheint. Man könnte sagen, ich bin so weit davon entfernt, dass Zerfließen wahrscheinlicher ist; nicht nur wegen der schwülen Hitze. Meine Depression, mein psychovegetativer Erschöpfungszustand, oder wie auch immer man es nennen möchte, hat mich wieder eingeholt und lässt mir fast alles unendlich schwer erscheinen. Umso verwunderlicher ist es mir, dass mir Schreiben gerade in diesem Augenblick leicht fällt. Muss daran liegen, dass ich just jetzt nur schwafele…

Wer schon öfter hier reingelesen oder reingehört hat, wird wissen, dass es eine Menge Themen gibt, die mir am Herzen liegen. Eigentlich wollte ich dieser Tage was zum Thema Gaza-Krieg sagen; doch letztlich ist es ein Thema, zu dem schon so viele so viel Falsches von sich gegeben haben, dass ich mich nicht auch noch dazu gesellen möchte. Ich kenne zwar die Theorien und die Historie, aber ich bin kein Spezialist und selbst die wissen ja nicht, wohin der Zug fährt. Fest steht nur eines: so lange beide Seiten auf das kompromisslose Anerkennen ihrer jeweiligen Positionen pochen, wird es keinen Frieden geben. Und ein diesbezüglicher Wandel ist einfach nicht in Sicht. Viellicht nächste Woche, vielleicht nächstes Jahr…

Dann kam mir in den Sinn, dass ich was zum Patriotismus sagen könnte. Immerhin sind wir ja Weltmeister! Ja wer jetzt eigentlich? Nur die Spieler der Nationalelf? Auch ihre Trainer, Physiotherapeuten, Ernährungsspezialisten, Ärzte und was weiß ich nicht, was da noch so alles kreucht und fleucht? Frau Merkel und Herr Gauck – die waren ja immerhin in der Kabine. Alle Deutschen? Also ich nicht! Ich habe kein einziges Spiel gesehen, nicht gezittert, nicht gebangt, nicht gejubelt und auch keine Flaggen aufgehängt – und ganz sicher habe ich nicht mitgespielt. Bin ich jetzt deswegen kein Deutscher, oder zumindest kein Patriot? Was bedeutet Patriot sein überhaupt? Was mich betrifft, so bin ich stolz ein Deutscher zu sein; weil wir eine halbwegs gut funktionierende Demokratie haben, weil wir faire Gerichte haben, weil unsere Sozialsysteme fast jeden ohne Ansehen seiner Person auffangen können, weil in unserem Land eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen an Perspektiven für die Zukunft arbeiten und weil die allermeisten meiner Mitbürger das ganz bescheiden und unauffällig tun. Weil wir Werte wie Präzision, Zuverlässigkeit und Gründlichkeit exportieren, was die Welt mittelfristig sicherer werden lässt. Sicher gibt es viele Dinge, die in unserem Land nicht gut laufen, aber wir haben die Freiheit, sie zu benennen und etwas gegen die Missstände zu tun. Versucht das doch mal in Saudi-Arabien, auf Kuba, in China, oder ganz vielen anderen Orten der Welt, dann verschwindet ihr auf Nimmerwiedersehen in einem ganz, ganz dunklen Loch! Also bin ich Patriot – und das ganz ohne Fußball!

Ich weiß nicht ob ich das schon mal erwähnt habe, aber ich lese unter Anderem den Stern und ganz besonders mag ich die Kolumne von Meike Winnemuth. Ihr erfrischend unkomplizierter Blick auf unsere verschwitzt-komplizierte Welt ist für mich immer wieder ein Genuss. Zum einen trifft sie, zumindest meistens, den Nagel auf den Kopf und zum anderen ist sie dabei herrlich selbstironisch, Allürenfrei und überdies eine präzise Beobachterin. Diese Woche hatte sie es von der medial aufgepeitschten Dauererregung über wochenweise wechselnde Themen; Hauptsache Aufregergarantie! Und ich musste mich schon fragen, ob ich gelegentlich mit meinen eigenen Artikeln nicht auch solchen medialen Säuen hinterherrenne und viel zu viel Augenmerk auf Nichtigkeiten verschwende. Gelegentlich war dies der Fall und dafür an dieser Stelle ein mea maxima culpa! Denn eigentlich fühle ich mich zumeist der Sachlichkeit und der Sachrichtigkeit verpflichtet. Wer den Unterschied nicht kennt, möge ihn bitte googeln, ihr seid schließlich gerade online.

Was nun mein Platzen anbetrifft … das verschiebe ich noch ein wenig. Im Moment habe ich eher das Gefühl, dass es etwas nützt, wenn ich mich ganz auf mich selbst besinne und nur das tue, was mir Befriedigung verschafft. Wie zum Beispiel das Bloggen. Ein paar Themen habe ich ja jetzt abgehandelt, aber da ist noch so viel, was ich dieser Tage gehört und gesehen habe und was einer mehr oder weniger wortgewaltigen Würdigung harrt. Ich denke, man wird nicht allzu lange warten müssen, bis dahin ein schönes Restwochenende.

Ausbalanciert oder abgestürzt…?

Man spricht immer gerne von der Work-Life-Balance und diskutiert dabei oftmals vor allem Aspekte der zeitlichen und räumlichen Abtrennung von Freizeit und Arbeit. Es gibt wohlfeile Argumente dafür, Arbeits- und Lebensräume aber auch Arbeits- und Freizeit ineinander fließen zu lassen, mit dem Hinweis, dass diese Flexibilität dem Arbeitnehmer ja mehr Freiheiten als der klassische 9-5-Job am festen Schreibtisch ließe. Konträr dazu wird behauptet, dass die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit zu einer Mehrbelastung der Arbeitnehmer führe, weil sie freiwillig durch den empfundenen Konkurrenzdruck der Leistungsgesellschaft einfach immer noch ein bisschen mehr Zeit für die Arbeit investieren würden. Wenn man sich nur genug bemüht, kann man für beide Standpunkte genug Argumente finden.

Ich persönlich finde das Versprechen von mehr Flexibilität am Arbeitsplatz, von free collaborative Workspaces, von veränderten Arbeitsraumwelten etc. ganz interessant, bin allerdings in der – in diesem Fall zunächst dankenswerten – Position, keine Arbeit mit nach Hause nehmen zu können. Den Patienten vom Rettungswagen in unsere Wohnung zu schleifen, um noch ein bisschen weiter zu reanimieren, erscheint mir einfach nicht sonderlich zweckmäßig. Was jedoch die Möglichkeit angeht, die Aufteilung seiner Arbeitszeit und auch den Arbeitsort besser an seine persönlichen Lebensbedürfnisse anpassen zu können, schaue ich natürlich dumm aus der Wäsche, diese Chance ist mir nicht gegeben. Ganz ohne Ironie fasziniert mich der Gedanke ehrlich, meinen Arbeitsalltag so segmentieren zu können, dass ich Zeit für die Arbeit, die Familie und mich hätte, ohne dass ich meine Arbeitsvertraglichen Pflichten darob untererfüllte. Aber in meiner gegenwärtigen Position ist das eben kaum denkbar. Das gilt im Übrigen für einen großen Prozentsatz der Werktätigen. Produktionsstätten kann man nur mit einer gewissen Personaldisposition effektiv betreiben und nur Wenige möchten vermutlich mehrmals täglich ein- und wieder ausstechen, inklusive Umkleide- und Körperpflegezeiten brächte man nämlich im Mittel deutlich mehr Zeit bei der Arbeit zu.

Es drängt sich überdies die Frage auf, ob dies nicht doch der Versuch einer Arbeitszeiterhöhung oder Arbeitsverdichtung durch die Hintertür ist, wenn man bedenkt, dass die Sorge um einen drastischen sozialen Absturz im Fall des Verlustes der Arbeitsstelle seit 2005 deutlich gestiegen ist. Zu der Zeit sind die letzten Gesetze über neue Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, besser bekannt als Hartz-4 in Kraft getreten. Und komischer Weise ist die Zahl der Fehltage durch psychische Erkrankungen seitdem überproportional stark angestiegen. Natürlich kann man unterstellen, dass auch das Problembewusstsein bezüglich seelischer Leiden in der Breite der Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist; gewiss sind unsere Arbeitgeber durch die sich beschleunigende Globalisierung so gut wie aller Märkte unter bisher nicht gekannten wirtschaftlichen Druck geraten, den sie naturgemäß an das schwächste Glied der Kette, nämlich den einfachen Angestellten durchreichen. Niemand wird sich gerne seine Rendite versauen lassen, schließlich arbeitet man in seinem eigenen Unternehmen ja wohl schon hart genug dafür. Dass die einzige echte Wertschöpfung dabei nur durch die Angestellten geschieht, wenngleich auch manche strategische Entscheidungen sicher schwer wiegen, wird dabei nur zu gerne unterschlagen.

Der erhöhte Druck durch die erheblich größere Zahl an Marktteilnehmern, sowie das gleichzeitige Wegfallen bislang zugegebenermaßen im internationalen Vergleich höchst komfortabler sozialer Kompensationsmechanismen bei Arbeitslosigkeit hat vor allem eines zur Folge: dass die Leute eine Scheissangst vor Arbeitslosigkeit haben. Und diese Angst wird von vielen Arbeitgebern schamlos instrumentalisiert, um den individuellen Workload bis zum Zusammenbrechen zu steigern. Da ist nix mehr balanciert, dass sprichwörtliche Kind ist schon lange abgestürzt; und zwar in den sprichwörtlichen Brunnen und strampelt dort mittlerweile nur noch schwach. Wie viel mehr Scheisse wollen wir uns eigentlich noch gefallen lassen, bevor wir endlich die Chipstüte und das Bier wegstellen, den Fernseher ausmachen und aufstehen; aufstehen und etwas für unsere Rechte tun. Egal, ob gerade irgendein sportliches Großereignis übertragen wird, oder eben nicht mehr. So viel Zeit und Energie, wie hierzulande darauf verschwendet wurde, jedes Tun oder Lassen von Jogis Jungs peinlichst zu sezieren, bevor sie’s dann doch endlich mal geschafft haben, den Pott heimzuholen, kann der Leidensdruck wohl aber noch nicht groß genug sein.

Ihr Gehirncouchpotatoes werdet’s vielleicht schon irgendwann merken, wie schlimm ihr wirklich verarscht worden seid. Dann wagt es aber ja nicht, euch auch noch zu beschweren, denn hinter anzukommen, wie die alte Fasnacht ist feige, dumm und dreist. Bis dahin auch weiterhin viel Spaß bei der selbstverschuldeten geistigen Umnachtung…

Wichtig, wichtiger… nö, NICHT die WM!

Ich habe keine Ahnung von Fußball. Echt jetzt! Und dieses Spiel interessiert mich noch nicht mal besonders. Ich kann das ganz gut kaschieren, weil ich mir ziemlich gut nutzlose Fakten merken kann und überdies über einen halbwegs funktionalen analytischen Verstand verfüge, der es mir erlaubt, auch Dinge zu beurteilen, die nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen zählen; wie eben dieses komische Spiel, bei dem 22 Leute 90 Minuten einem Ball hinterher rennen und am Schluss… ach was soll ich hier jetzt Garry Linneker zitieren, das ändert ja auch nix daran, dass mir dieser ganze Wahn mittlerweile ziemlich auf den Sack geht.

Es ist für mich eigentlich kaum ein Problem, wenn die Menschen in meiner Nachbarschaft sich abends hinsetzen und zusammen Fußball kucken, dabei Bier (oder auch Anderes) saufen und über Dinge fachsimpeln, von denen ich zwar irgendwie schon mal gehört habe, die ich aber nicht beschreiben könnte; wenn sie sich zusammenrotten und Fahnen schwenkend und mittels ihrer Hupe Ohren malträtierend durch die Stadt korsieren, um ihrer Freude Ausdruck zu verschaffen, dass das jeweils favorisierte Team gewonnen hat. Oder wenn sie ungläubig den Kopf darüber schütteln, dass ich mir selbst WM-Spiele nicht anschaue und es mir tatsächlich bumms ist, ob Deutschland nun Weltmeister geworden ist. Selbst wenn ich dafür angepflaumt werde, dass man doch ein bisschen Nationalstolz haben muss – den ich, nur mal so am Rande für eines der absolut unnötigsten Gefühle auf dem Erdenrund halte, weil ich diese Nationalstaaterei so absurd finde – bleibe ich ruhig, lächle, dulde und lache innerlich dreckig, weil mir die Armseligkeit, mein Selbstwertgefühl aus der sportlichen Leistung anderer ziehen zu müssen so fremd ist. Oh, Pardon, habe ich jetzt vielleicht doch ein paar Gefühle verletzt? Tja, DAS ist mir leider auch bumms…

Egal, wie die Spiele auch ausgegangen sein mögen, ich werde das Gefühl nicht los, das selbst gute Journalisten manchmal ihre Objektivität und Unparteilichkeit verlieren, wenn sie sich zum Beispiel entblöden, wie im „Stern“ gerade geschehen, ein Loblied auf die Völkerverständigung zu singen, welche die WM doch geschaffen hat. Nur dass diese ganzen anderen Völker in wenigen Tagen wieder weg sind, bestenfalls die allerwenigsten von ihnen jemals wiederkehren werden und die paar Milliärdchen, welche die Sportstätten nebst zugehöriger Infrastruktur verschlungen haben in naher Zukunft vor sich hin gammeln werden, wenn nicht gerade die erste Liga Brasiliens drin spielt. Man kann in einem Fußballstadion nur leider nicht wohnen, es erzeugt keine Energie, sondern verbraucht welche und es zum Gemeindezentrum, oder zu einer Produktionsstätte umzuwidmen, wird wohl etwas komplizierter. Oh sicher hat sich jemand über die sogenannte Folgenutzung Gedanken gemacht, nur ob dabei Nachhaltigkeit, oder die Verantwortung gegenüber den Bedürfnissen der eigenen Bevölkerung irgendeine Rolle gespielt haben, lässt sich nur noch sehr schwer sagen. Mit Sicherheit war allerdings von Gewicht, was dieser eingetragene Verein, der sich gerne aufführt wie ein Staatsorgan zu sagen hatte. Denn die Jungs von der FIFA sind ja nicht nur bezüglich des Balls immer an Bewegung interessiert; auch beim Geld sagt man da nicht unbedingt nein.

Unsere Elf hat den Weltmeistertitel geholt, schöne Sache das; und jetzt? Tja, jetzt geht es auf beiden Seiten des Atlantiks weiter wie gewohnt: es wird robotet für oft zu schmales Geld, die Interessen und verbrieft geglaubten Rechte der Bürger sind bumms, so lange die Industriekapitäne ihren Reibach machen können, die NSA hört ab, bis die Server glühen und viel zu viele kucken immer noch matt auf die Scheibe, während das Freihandelsabkommen TTIP immer düsterer unsere Existenzgrundlagen bedroht. Chlorhühnchen sind da das geringste Problem. Aber feiert ruhig noch ein paar Monate weiter Weltmeister, unsere Staaten- und Wirtschaftslenker werden das Kind schon verschaukeln…