Bin ich ein Ökonomier?

Gute Frage, oder? Was ist denn ein Ökonomier, könnte man dagegen halten. Tatsächlich ist das die erste Frage, der ich mich widmen muss. Aus meiner Sicht – und die ist wie immer natürlich mit einem Schuss Polemik eingefärbt, weil’s Spaß macht und die Gedanken weckt – wäre das einerseits der gelegentlich beschrieben Modelltyp des Homo Oeconomicus, eines Menschenwesens, dessen Dasein sich auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung reduziert, das alles anhand der Frage beurteilt, was es ihm bringt, das sich selbst auf rationalen Egoismus reduziert und somit der voran gestellte Artikel, nämlich ein DAS voll ins Schwarze trifft, weil sich dieses Kunstwesen geschlechtslos, gleichsam asozial darstellt und somit quasi einen unbestimmten Genus hat. „Voll ins Schwarze“ passt in dieser Analogie auch, wenn man mit dieser Farbe einen Politiktyp assoziiert, der klassisches, Konservatives Denken neoliberalistisch bastardisiert hat, um sich eine Berechtigung für die bedenkenlose Entfesselung von Adam Smiths metaphorischer unsichtbarer Hand verschaffen zu können.

Auf der anderen Seite ist dieses Kunstwesen aber nicht sozial entkoppelt, sondern vielmehr vollkommen eingebunden in den Fluss der Informationen, Meinungen, Bewegungen, den das Netz zu jeder Zeit und an zumindest sehr vielen Orten unserer Welt bietet. Also ein soziales Zwitterwesen, welches sich in der virtuellen Ferne die Nähe sucht, doch sich gegen echte Nähe isoliert und sich so langsam aber sicher der ungefilterten Sozialität entfremdet.

Sind wir also auf einer Schnellstraße in eine Welt voller egoistischer Arschlöcher? Nun, zunächst sind diese Gedanken in erster Linie Kunstfiguren. Ökonomen machen sich immer einen Kopf darüber, was Menschen motiviert in aller erster Linie deswegen, weil sie neue Ideen brauchen, wie man Menschen das Geld aus der Tasche zieht, bzw. sie dazu bewegt mehr und effektiver zu arbeiten – am besten für weniger Geld! Der Homo Oeconomicus ist somit nicht mehr als akademische Hirnwichserei, da verschiedenste Persönlichkeitselemente und Sozialisationsumstände sich schlicht der Betrachtung durch diese Theorie entziehen und Menschen nun mal nicht vor einem Computerbildschirm aufwachsen, sondern in aller Regel umgeben von anderen Menschen – welchen Einfluss auch immer diese ausüben mögen.

Wenn man sich nun also über das schwindende Maß an Solidarität in unserer Gesellschaft beklagt und sich sorgt, dass die schwieriger werdenden wirtschaftlichen Umstände – Stichwort Globalisierung – gepaart mit der Informationsrevolution Internet unsere bislang bekannte Form miteinander zu leben über den Haufen werfen werden, darf ich sie beruhigen: das hat schon angefangen und es passiert jeden Tag ein bisschen mehr. Gesellschaften sind nämlich, so wie Lebewesen auch einer Evolution unterworfen, sie entwickeln sich zusammen mit den Menschen, den wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen stets weiter und das kann man auch nicht aufhalten. Stellen sie sich mal vor, wie sich Menschen gefühlt haben müssen, die zum ersten Mal eine Dampfmaschine, ein Auto oder gar ein Flugzeug erblicken konnten. Oder Kulturen, denen eine Änderung ihres politischen und sozialen Systems von Eroberern aufgezwungen wurde, in Afrika, in Indien, in Asien, immer und immer wieder in der Geschichte. Unsere moderne Industriegesellschaft ist ein hochkomplexes Gebilde mit vielen eigenständigen Subsystemen, die in vielfältiger Weise miteinander agieren, hinunter bis zum einzelnen Individuum. Nicht alle entwickeln sich zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung, dass ist dem Pluralismus geschuldet, den größere persönliche Autonomie im Zuge der Demokratisierung mit sich gebracht hat; und das ist gleichsam die Verpflichtung, bei aller persönlichen Freiheit einen gemeinsamen Weg finden zu müssen, der für alle wenigstens akzeptabel ist.

Pluralismus ist gut, denn er erzeugt mehr Meinungsvielfalt, mehr Lebensmodelle, mehr Ideen und Bewegung – aber natürlich auch mehr Chaos. Soziale Klassen werden entgrenzt, Milieus und Subkulturen entwickeln sich und verschwinden wieder, Meritokratie tritt an die Stelle von Aristokratie, der Besitz von Privilegien ist an andere Voraussetzungen gebunden und verschiebt sich und zur gleichen Zeit scheint es, als wenn jeder zu allem werden könnte, aber keiner eine Ahnung hat, wer oder was er sein möchte. Dieser Widerspruch ist allerdings nur schwer aufzulösen, da sich das Tempo, in dem sich unsere Gesellschaft entwickelt einerseits erhöht hat, andererseits die Diffusion und Verselbstständigung gesellschaftlicher Teilsysteme immer mehr zunimmt.

Tatsächlich sind die sozialen Strömungen im Moment zu uneinheitlich, und geben zu viele konvergente Impulse ab, als dass man sich einfach darauf verlassen könnte, sie irgendwann einfach wieder an ihrem angestammten Platz zu finden. Vielmehr sollte man sich von der Idee des Gestern verabschieden, sich selbst fragen, welches Morgen einem zusagen würde und sich aufmachen daran zu arbeiten, dass es zustande kommen könnte.

Um auf die anfangs gestellte Frage zurück zu kommen: Weil ich davon träume, bin ich kein Ökonomier! Ich stelle sehr wohl fest, dass es Menschen gibt, die durch die Möglichkeiten und den Einfluss der Neuen Medien eine potentiell schwierige persönliche Entwicklung nehmen können, aber mitnichten hat das Netz den Mensch als wichtigste, unmittelbare Sozialisationsinstanz abgelöst, noch wird es dies in absehbarer Zeit tun. Schlicht weil in jedem von uns die Erkenntnis verankert ist, das der Mensch als grundsätzlich soziales Wesen sich nur im ungefilterten sozialen Vollzug realisieren kann und sich dies – wie unzureichend es gegenwärtig auch in manchen Milieus und an manchen Orten stattfinden mag – immer noch jeden Tag überall vollzieht.

Unsere gesellschaftlichen Bezüge, unser Normen- und Wertegerüst verschieben sich, wie sie das zu allen Zeiten graduell getan haben, doch daraus den Untergang unserer Kultur ableiten zu wollen – die im übrigen auch nur ein prozessuales Konstrukt ist – halte ich für ein wenig verfrüht. Ich bin vielmehr gespannt, wohin uns der Weg führt und ich werde ihn gehen, auch wenn mir sicher nicht alles, was es hinter der nächsten Biegung zu sehen gibt gefallen wird. Gehen sie doch einfach trotzdem mit!

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