Altmodern? (Postmodern N°3)

Um es gleich vorweg zu nehmen – nein, auch ich habe keine letztgültigen Antworten auf die tief schürfenden Fragen. Auch ich weiß leider nicht, warum Formate wie DSDS noch immer so viele Leute vor den Fernseher locken, obwohl doch immer das Gleiche passiert. Vielleicht sind wir Menschen doch so sehr Gewohnheitstiere, dass auch das regelmäßige Grauen eine gewisse Beruhigung in uns entstehen lässt. So lässt sich auch erklären, wieso gewisse Videochannels auf Youtube, deren Gehalt nachweislich asymptotisch gegen Null geht – außer man mag Idioten, die sich und ihre Meinung gerne selbst beweihräuchern – immer wieder die Spitze der Beliebtheitsskala erklimmen dürfen. Ich nehme davon hiermit offiziell durch ein Schulterzucken Notiz und gehe zur Tagesordnung über.

Modern ist, was der Durchschnitt der Menschen – falls es sowas überhaupt geben kann, wovon ich bis heute nicht überzeugt bin – als auf der Höhe ihrer jeweiligen Zeit betrachtet, womit modern z.B. auch alle Trends umfasst. Ist ja gruselig, wenn ich mir die Mode so anschaue. Modern ist, was Technik und Forschung zu jeder Zeit an unterschiedlichen Neuerungen hervorbringen, die in unser Alltagsleben Einzug halten; am augenscheinlichsten sind hier die Technischen, sie sind aber nicht die Einzigen. Womit wir bei der Frage wären, was dann mit solchen Entwicklungen wie Video 2000, der Laserdisc, der Minidisc und anderen ist. Haben ja alle gefloppt, also hat modern vielleicht auch etwas mit Beliebigkeit zu tun? Modern ist da, wo vorne ist, wo die early adopter und Enthusiasten, die Digitalen Nomaden und Weltbürger sind – nur dass so mancher Zug in die Zukunft über das Abstellgleis hinaus gerollt ist und nach dem Wegrammen des Prellbocks im Orkus der Ignoranz und des Vergessens entschwand. Was in einigen Fällen auch verdammt richtig so war! Modern ist anscheinend irgendwie das Danach; und zwar nach dem Jetzt. Quasi die Personifikation des Dranges nach jenen Dingen, die Besser und Schöner sein müssen, schlicht weil sie neu sind!

Soweit zur populistischen Erstbetrachtung. Was nun die Moderne als einen Zeitraum betrifft, wird es sogleich etwas schwieriger, weil diese der letztgenannten Beobachtung zur Folge ja mit dem Verstreichen des Momentes vorbei sein wird, den ich just jetzt gebrauche, um diesen Absatz zu formulieren – oh nein, die Moderne ist tot, also kann sie ja gar nicht mehr modern sein! Oder doch? Oder nicht? Ja wie denn jetzt?

Wenn man Moderne googelt, oder auch eher altmodisch in einem einigermaßen aktuellen Lexikon nachschlägt, wird man mit einer Fülle von Begrifflichkeiten konfrontiert, die einen kaum schlauer machen, sondern eher noch viel mehr Fragezeichen hinterlassen. Dekonstruktion zum Beispiel. Aber wenn ich über die Moderne nachdenke, dann komme ich zu dem Schluss, dass hier solche Ansammlungen verbalartistischer Hirnwichserei den Blick auf’s Wesentliche verstellen: nämlich Menschen, die im Angesicht ihrer Zeit nach Wegen und Möglichkeiten suchen, sich in dem immer komplizierter werdenden Gebilde Gesellschaft einen Platz zu schaffen, an dem sie nicht bloß subsistieren können, sondern vielmehr eine Chance bekommen, zu Individuen zu werden; am reichhaltigen Leben innerhalb ihrer Gesellschaft teilhaben zu dürfen, sich selbst zu finden – auch immer wieder neu zu finden – ein Leben zu leben, dass man als erfüllt bezeichnen könnte, das richtige Equilibrium aus Nähe und Distanz, aus Sozialität und Individualität zu erreichen; oder schlichter gesagt, ihren Platz im Leben zu bekommen und behalten zu dürfen.

Klingt einfach, ist schwierig. Sogar verdammt schwierig, denn modern bedeutet für die allermeisten Menschen, die ich kennen lernen durfte zuerst Ambivalenz. Ein Hin-und-Hergerissen-Sein zwischen der Faszination des Neuen und den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben auf der einen und der Sicherheit und Geborgenheit des Bekannten, Gewohnten auf der anderen Seite. Oft gibt es kein Richtig oder Falsch, keine analogen Entscheidungen, sondern immer mal ein bisschen Hiervon und mal ein bisschen Davon. Doch aus diesem Gemischtwarenladen der beliebigen Wege, Werte, Ideen, Idole, Ideale und Ideologien für’s frühe 21. Jahrhundert das jeweils Richtige in seine Tüte packen zu können, scheitert nicht selten daran, dass weder Startpunkt noch Ziel erkennbar bleiben, desto weiter man sich bewegt.

Folglich ist die Moderne, auch wenn sie mit jedem vergehenden Moment zur Vergangenheit wird, ein Labyrinth, für das keine Karten und keine Aussichtspunkte existieren und in dem jeder – zumindest ein Stück weit – auf sich gestellt ist. Sich da an die Erinnerung des zuvor Gekannten zu krallen, neue Fragen nach alten Mustern beantworten zu wollen, sich vor einem Zuviel an Möglichkeiten zu ängstigen und vor allem Irgendjemandem die Schuld an diesem Schlamassel geben zu wollen ist genauso menschlich, wie es uns nicht weiter bringt. Insbesondere jemandem die Schuld geben zu wollen, dass sich unsere Welt weiter entwickelt, ist Unfug; weil wir Menschen zur Kreativität befähigt sind, dies auch ausleben und so aus dem multimodalen Dauerfeuer menschlicher Schöpfungskraft ein Perpertuum Mobile erwächst, dass wir niemals werden anhalten können, egal wie Viele oder wie mächtig wir wären. Auch das ist Teil unserer menschlichen Natur.

Und so wie unsere Ideen sich zu einem Strom vereinigen, der vorwärts drängt, werden wir Menschen allesamt mitgerissen, unsere Kultur – außer in unseren Illusionen sehr weit davon entfernt, etwas von dauerhaftem Bestand zu sein, ja im Gegenteil sogar im Kern wandelbar – aber auch unsere Ideen von Gesellschaft, unsere Sicht auf uns als Menschen sind stets dazu genötigt, sich immer wieder neu zu entdecken und zu wandeln. Und doch scheint Wandel uns fremd zu sein.

Die Unwägbarkeiten des Unbekannten jagen uns wohlige Schauer über den Rücken, wenn wir sie nur zu Unterhaltungszwecken konsumieren, doch werden wir Ihnen in realitas ausgesetzt, verfallen nicht Wenige in eine Schockstarre und rufen laut – nach mehr Sicherheit, mehr Regulation, nach mehr Kontrolle. Und verkennen dabei, dass nicht nur im bislang Unbekannten, sondern auch in dem was wir sicher zu kennen und zu beherrschen glauben so viele Variablen verborgen liegen, auf die wir keinen oder zumindest keinen nennenswerten Einfluss auszuüben vermögen. Doch Leben ist ein Wagnis, wird es immer bleiben, auch wenn wir Mitglieder der kontemporären Industriezivilisationen so etwas wie eine Vollkaskomentalität entwickelt haben. Nur wenige erinnern sich anscheinend des alten Sprichwortes „Wer wagt, gewinnt!“

Altmodern – das ist, was wir gerne wären; wohl eingebettet in das Alte, das Bekannte und gleichzeitig quasi aus sicherer Distanz die Früchte des Neuen, Modernen erntend. So würden wir nur zu gerne immer weiter leben und können es doch nicht länger, weil das Geflecht der sozialen Systeme nun endgültig zu groß, die Interdependenzen zu unübersichtlich, die Stellgrößen zu Viele geworden sind und wir immer noch nicht gelernt haben, dass schwarze Schwäne passieren, gleich was wir auch versuchen und das die Zukunft passiert, egal wie sehr wir sie zu bremsen versuchen und das Wandel passiert, auch wenn wir ihn von Herzen hassen.

Ich will nicht Altmodern sein, denn ich begrüße den Wandel, selbst wenn ich vermutlich nur wenig mehr darüber weiß, als die meisten Anderen. Ich verlasse mich dabei gerne auf meine Intuition; etwas, das wir schwerst Zivilisationsgeschädigten Menschoiden erst wieder lernen müssen. Ich weiß auch nicht, ob ich damit modern bin, denn meine nahende Zukunft wird mit jedem Atemzug durch Gegenwärtigkeit zur Vergangenheit und es ist mir auch von Herzen Wurst, was eine verphilosophierte Postmoderne beherbergen mag, denn ich kann sie nicht fassen, nicht sehen, nicht mal gut ahnen. Also lassen wir stattdessen doch einfach die Moderne geschehen, anstatt über sie zu fabulieren und versuchen den Wandel, der sich auf dem Weg ergibt mit positivem Leben zu füllen, ihm eine Richtung zu geben, die uns vielleicht nach unserer gelebten Moderne in eine humanere Welt führt. Das wäre eine Postmoderne, die ich verdammt gerne erleben würde.

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