Verdammt lang her…?

Die Erde, so ganz im Allgemeinen dreht sich weitestgehend ohne unser Zutun. Das ist auch gut so, denn sonst hätten wir ja dauernd Tag, oder aber Nacht, was es verdammt schwierig machen könnte, sich Abends für irgendwas zu verabreden; z.B. ein Abiturjahrgangstreffen. Aber weil die Dinge sind wie sie sind, konnten wir uns mit 20-Jähriger Latenz mal wieder neu begutachten. Der Satz stimmt nicht ganz, denn vor sieben Jahren, hatten wir ja schon mal ein Revival, aber das sei für diesen Text erstmal nicht weiter von Belang.

Eigentlich waren es ja auch nicht 20 Jahre, sondern vielmehr 20 Jahre, 1 Monat und 11 Tage Abstand, wenn man den Tag, an dem das mündliche Abitur nebst Hopp-oder-Top-Verkündung und genialem gemeinsamem Tagesendabsturz in einem einsam gelegenen Garten stattgefunden hatten als Endpunkt der schulischen Karriere wertet. Ich mache das so, denn genau danach war Nichts mehr so, wie man es gekannt hatte. Die erste große, vollkommen bewusst wahrgenommene Zäsur im noch jungen Leben. Die Zeit davor bot eine gewisse Sicherheit. Natürlich ist Pubertieren kein Zuckerschlecken und wenn man die Erinnerungen aufsummiert, bleibt eine gewisse Ambivalenz nicht aus; es war nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen, aber das wäre auch nicht gut gewesen. Leben ist bei weitem nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen und auch daran muss man sich, die Eierschalen hinter den Ohren wegwerfend, erstmal gewöhnen…

Die Adoleszenz ist genau so ein Arschloch wie die Pubertät, denn sich einen Platz im Leben und in der Welt zu suchen, ihn zu verteidigen oder auch mal aufzugeben, wenn die Wanderlust kommt, sich mal eben neu zu denken und sich dennoch treu zu bleiben, sofern man sich als so wertvoll erachtet, ist in etwa so einfach, wie Frieden im Nahen Osten zu stiften. Es gibt keine Patentlösung und es funktioniert immer nur auf Zeit.

Gerade deswegen war ich neugierig, wie freundlich oder unfreundlich die Zeit mit den Anderen umgegangen sein mochte, ob sich immer noch die gleichen Grüppchen bilden würden, ob sie immer noch so wären wie früher oder doch vollkommen anders? Wenn jetzt jemand kommt und sagt, also wenigstens reifer sollten sie doch geworden sein, fallen mir als männlichem Vertreter der Gattung Homo Sapiens Sapiens dazu zwei Dinge ein: Reife bedeutet für mich zuallererst, dass ich die Chance hatte, durch Erfahrung zu lernen, mit den Fährnissen des Alltags gelassener umzugehen. Das lässt mich vielleicht zumindest äußerlich ruhiger erscheinen, aber es macht mich nicht unbedingt zu einem anderen Menschen. Und als der, der ich immer noch bin, werfe ich weiterhin Folgendes ein: Ihr dürft zu mir sagen „Man, bist du grau geworden!“, oder auch „Man, bist du dick geworden!“ – aber wenn einer sagt „Man, bist du erwachsen geworden!“ lass ich mich einbalsamieren. Wenigstens die Illusion mentaler Jugendlichkeit möchte ich mir nämlich noch eine Weile gönnen! Und irgendwie hatte ich bei dem Treffen dann schon den Eindruck, dass ich mit diesem Wunsch nicht vollkommen alleine da stehe.

Tatsächlich waren manche Dinge immer noch genau so wie damals, aber auf eine beruhigend … ja tatsächlich gelassene Art und Weise. Natürlich gab es die üblichen Fragen wie „Und was machst du so?“, „Hast du Kinder?“, „Wie geht’s dir so?“, aber für bestimmte Dinge braucht man keine Worte, sondern nur ausreichend feine Antennen für zwischenmenschliche Resonanz. Die habe ich mir durch meinen Job und einen daraus abgeleiteten persönlichen „Reifeprozess“ erarbeitet und mich darum einige Male auf die Position eines Beobachters zurückgezogen, um einfach nur zuzusehen, nachzudenken und mich zu freuen. Ich hatte leider nicht die Gelegenheit, mit jedem Einzelnen zu sprechen, aber wie gesagt, Manches sieht man einfach. Und es war mir durchaus eine Freude, mich mit meiner eigenen Vergangenheit zu beschäftigen.

Manchmal macht man den Fehler und sagt diesen Satz „Ach, wenn ich DAS doch mit 20 gewusst hätte…“. Einer meiner ehemaligen Mitschüler antwortete mir im Gespräch, dass er sich ziemlich sicher sei, dass ihm der nie über die Lippen käme, weil er mit seinen getroffenen Entscheidungen, seiner Position im Leben – und damit auch mit sich selbst, wenngleich diese Aussage nur implizit in seinen Worten mitschwang – ziemlich im Reinen sei. Besser kann’s eigentlich doch kaum kommen. Würde man aber diesen Satz tatsächlich sagen, kann ich aus eigener Erfahrung antworten, dass ich der, der ich heute bin nur deshalb werden konnte, weil ich seit damals den Weg gegangen bin, den ich gegangen bin. Vielleicht würde ich manche Entscheidung mit meinem heutigen Wissen anders getroffen haben, aber dann wäre ich heute auch ein Anderer und vielleicht auf andere Art unzufrieden. Also warum sollte ich hadern? Das Leben ist sowieso nie ein gerader, ruhiger Fluss.

Man sagt, dass der Mensch nur in der Interaktion mit Anderen wirklich lebt, dass er als soziales Wesen den Spiegel braucht, den ihm Andere vorhalten, dass er für sich selbst nur in diesem Spiel aus Aktion und Reaktion „echt“ wird. Ich habe mich sehr gefreut, zu sehen, dass die Menschen, welche meine Jugend entscheidend mit geprägt haben im Großen und Ganzen authentisch geblieben, es teilweise sogar noch mehr geworden sind und dass „es“ auf eine verquere Art immer noch ganz gut passt. Ich habe mich wohl gefühlt und hoffe, dass es den Anderen genauso erging.

Darum danke ich Julia für ihr Engagement, so viele wie möglich vom alten Haufen noch mal zusammen zu bringen und freue mich auf die nächste Gelegenheit, sich in angenehmer Atmosphäre auszutauschen. Bis dahin sei allen das Beste gewünscht.

PS: Es hat natürlich nicht jeder den gleichen Musikgeschmack, das wäre ja auch wirklich öde, aber irgendwie sind es doch immer wieder die selben Lieder…

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