SOS – style over substance…?

Immer und immer wieder stellen sich Menschen hin – in aller Regel sind es ältere, Kraft akademischer Titel vorgeblich weisere Menschen – und beschweren sich lauthals oder schriftgewaltig darüber, dass unsere Kultur vor die Hunde geht, weil die (jüngeren) Menschen zu wenig gute Literatur lesen und sich zu sehr „enthemmenden“ Medien, wie etwa dem rasant wechselnden Angebot an kontemporärem Crime-TV, Actionflicks, gewaltlastigen Spielen etc. hingeben. Die Deutungshoheit darüber, was in diesem Kontext „gute“ Literatur ist, beanspruchen die Wort- und Schriftgewaltigen selbstverständlich für sich; ebenso das Interpretationsrecht bezüglich der Wertigkeit moderner Medienproduktion. Das daraus subsumierte Credo lautet, dass wir uns auf klassische Werte zu besinnen hätten, weil allein diese die Kraft in sich trügen, unsere Welt wieder auf den rechten Weg zu bringen. Neue, bzw. zeitgenössische Medien würden es an Substanz vermissen lassen…

Verstehen sie mich bitte falsch – ich polemisiere, polarisiere und pauschalisiere, wann, wo und wie es mir passt, denn die überaus ungebildete Jugend unserer Zeit versteht ja eh nichts Anderes, als prolligen Shit – oder? Ja klar. Wir schauen ja auch alle nichts anderes als Hartz-TV (ach ich LIEBE diesen Begriff – wir gefühlt unterprivilegierten bauen uns unsere eigene intraproletarische Hackordnung, weil man da jemanden braucht, auf den man herab sehen kann, nicht wahr…), lesen alle BILD (immer druff uff’s Boulevardblättsche) und können vor einer Deutschlandkarte nicht mal, zumindest ungefähr, den Verlauf der ehemaligen „Zonengrenze“ benennen. Es ist schon komisch, das ausgerechnet Menschen, die es irgendwie geschafft haben, jemand Anderes davon zu überzeugen, ihnen einen akademischen Grad zu verleihen – ist ja aber auch echt leicht geworden, man braucht nur bessere Täuschungsstrategien als ehemalige Bundesminister – ihre Denkfiguren über ein derart undifferenziertes, unreflektiertes und überdies ungerechtes Weltbild definieren. Zwar verschaffen sich solche selbsternannten Hüter unserer Kultur – ich würde sie eher Kulturaltlastentragende Gesinnungsnazis nennen – wider alle Wahrscheinlichkeit landesweit Gehör, jedoch gilt hier das, was für alle anderen gesellschaftlichen Prozesse auch gilt: Macht kann nur derjenige ausüben, den ich durch mein Anerkennen derselben dazu legitimiere.

Kurzer Exkurs ins politische Terrain: Würden mehr Menschen begriffen haben, dass die Pastorentochter uns alle noch ins Koma salbadern wird, während sie und ihre Spießgesellen die Karre vollends an die neoliberale Wand fahren, könnten wir vielleicht etwas heiterere Aussichten pflegen. Allerdings muss ich als überzeugter Soze hier einfach mal zugeben, dass Gleiches in etwa auch für den Goslarer Jung und seine Truppe von Blassen und Kopflosen gilt. Oder den Dosenpfandheini und seine bürgerlichen Betroffenheitshäkler. Echte Konzepte haben unsere Volkshirnweichklopfer, pardon ich meinte natürlich Volksvetreter, leider alle nicht im Gepäck. Exkurs Ende!

Es finden sich in regelmäßigen Abständen Vertreter unterschiedlichster Wissenschaftsrichtungen, die mal den Medienkonsum beim Kind, mal den beim Jugendlichen oder Adoleszenten als schlecht geisseln, weil sie alle der gleichen Unterstellung aufsitzen; nämlich dass junge Menschen, wann immer man ihnen die Wahl bezüglich medialer Konsumentscheidungen lässt, sie in der überwiegenden Zahl der Fälle die Schlechtere treffen werden. Als wenn solche Entscheidungen nach einem Multiple-Choice-Muster ablaufen würden UND die Qualitätsdefinition einiger weniger, dem bekannten, kontinuierlich wirksamen Prozesscharakter von Kultur zum Trotz, wie in Stein gemeisselt als unumstößliche Richtschnur für „Gutes Buch – Böser Film“ bis in alle Ewigkeit Gültigkeit besitzen müsste. Solche Arroganz ist kaum zu überbieten.

Zum einen ist es schlichte Notwendigkeit für die Persönlichkeitsentwicklung, bis zu einem gewissen Grade schlechte Entscheidungen und ihre Konsequenzen erleben zu müssen, was auch immer das im Zusammenhang mit Medienkonsum zu bedeuten haben mag. Zum Anderen ist die Definition dessen, was in einer vitalen Kultur – und NOCH ist unsere Kultur vital – als Leitmedium oder Aspekt von Hochkultur zu gelten hat, elastisch und darf, nein muss sich im Lauf der Zeit ändern können. Man mag sagen, dass sich in den Schriften klassischer Philosophen immer noch Passagen mit enorm hohem Bezug zu unserem heutigen Leben und seinen Problemen finden lassen, doch die Erstarrung in Expertenwissen, dass immer neue Fragen auf der Basis alter Erkenntnisse zu analysieren versucht, kann auch ein Zug nach nirgendwo sein. Die Deutungsfähigkeit bezüglich unserer heutigen Kultur muss man sich erst aktuell im Feld erarbeiten, man kann sie nicht einfach für sich beanspruchen, weil man die alten Meister studiert hat.

Ebenso arrogant ist es – meiner oft wenig bescheidenen Meinung nach – überhaupt eine Unterscheidung in Populär- und Hochkultur zu treffen. Bestenfalls ist eine solche Denke der schlecht getarnte Versuch, existente soziale, politische und wirtschaftliche Klassenunterschiede aus elitistischer Sicht zu zementieren bzw. zu rechtfertigen. Nur eine von vielen Strategien, die den Umstand, dass wir Deutschen uns gerne als lupenreine Demokraten bezeichnen, ein wenig lächerlich erscheinen lassen.

Was nun die Frage nach Stil und Substanz angeht; mit Sicherheit ist Vieles von dem, was heutzutage als mediales Produkt auf die Bildschirme drängt von geringem intellektuellem Nährwert. Allerdings und das haben viele, auch durchaus kluge Menschen, immer noch nicht begriffen, gibt es eine Trennlinie zwischen dem reflektierten Ich und dem Affektbestimmten Ich. Beide wünschen, bedient zu werden und beide brauchen das jeweilige Futter, um ein Persönlichkeitsgleichgewicht zu erhalten. Denn zumindest nach meiner Erfahrung neigen Menschen, die nur die eine ODER die andere Seite dieser Münze kultivieren dazu, entweder soziopathische Tendenzen zu entwickeln, oder aber sich selbst aus Gleichgültigkeit zum reinen Befehlsempfänger zu degradieren. Beide Varianten sind mittelfristig mit uncharmanten Folgen nicht nur für den Betroffenen selbst versehen.

Ich selbst mag daher Dinge mit Substanz, aber auch ungefähr genauso gern Dinge, bei denen eher der Stil dominiert, obschon ich Dingen, die Beides enthielten natürlich die größte Sympathie entgegen brächte. Wenn diese denn nicht so schwer zu finden wären; doch darüber werde ich ein anderes Mal nachdenken.

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