Einfach mal abschalten…

Muss man mal machen! Einfach abschalten! Also das Smartphone/Handy natürlich! Und das Tablet auch! Und das Notebook sowieso! Weil Internet süchtig macht! Hm… ja, ja, das ist gefährlich, wenn man soviel Zeit vor Bildschirmen verbringt, weil man dann ja… ja, was eigentlich? Was passiert, wenn man viel zum surfen, chatten und digilizen (so nenne ich fürderhin das digital socializing, also das sich-herumtreiben in sozialen Netzwerken) um es mal so flott zu formulieren vor dem Computer rumhängt. Rumhängen ist in dem Zusammenhang ja Geräteunabhängig. Witzigerweise ist dies übrigens der einzige Bereich im weiten Universum digitaler Kommunikation, in dem Anhänger verschiedener Geräteplattformen, Betriebssysteme und damit untrennbar verbundener Philosophien nicht sofort in oft hitzige Diskussionen geraten. Wenn man mal davon absieht, dass ich oben für guten Stil eindeutig zu viele Ausrufezeichen verwendet habe, bleiben die Fragezeichen hier dennoch die wichtigere Komponente.

Zunächst sei festgestellt, dass ich nach den Kriterien der Autoren eines Artikels im Stern – ja, ja ich lese das Blättchen zu oft, ich weiß, ich weiß – auch zu den Internetsuchtgefährdeten gehöre. Könnte daran liegen, dass ich, wie manch Anderer auch, oft Stunde um Stunde Recherchen betreiben MUSS, was vom heimatlichen Rechnerarbeitsplatz aus halt viel einfacher ist. Ich kann und mag nicht für jedes Zitat aus irgendeinem schwer in Papier beschaffbaren Buch in die Bibliothek rennen. Ganz zu schweigen davon, dass man manches überhaupt nur noch digital halbwegs zugänglich findet. Doch natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. Natürlich vertändele ich manchmal auch meine Zeit vor dem Bildschirm, mit Chats, mit Spielen und anderlei prokrastinierlichem Getue. Und gewiss stelle ich dabei gelegentlich fest, dass mir die Zeit davon gelaufen ist. Weil sich eben am Computer Arbeit und Zerstreuung so einfach miteinander kombinieren lassen. Schließlich ist hier beides keinen Fußmarsch oder eine Fahrt voneinander entfernt, sondern lediglich ein paar Mausklicks und ein bisschen Geklimper auf der Tastatur…

Doch welches Problem liegt hier zu Grunde? Dass der Mensch immer noch nicht gelernt hat, mit dem Medium vernünftig umzugehen? Nun diese Unterstellung könnte insofern zutreffen, als wir immer noch nicht genau wissen, wie Privatsphäre und Cloud voneinander zu trennen sind. Der Aushandlungsprozess hierzu steht noch ganz am Anfang und wird uns wahrscheinlich noch lange begleiten. Vielleicht für immer, weil sich das Soziale insgesamt langsamer entwickelt als die Technik, in die es immer mehr eingebettet wird. Auch hier gilt: Kultur ist nicht statisch, sondern ein Prozess und wenn wir für das Problem des angeblich angebrochenen Zeitalters der Postprivacy eine gangbare Lösung gefunden haben, steht sicher schon der nächste Protagonist auf der Türschwelle und verschafft uns Ärger und neue Aushandlungsprozesse… Menschsein ist halt nicht einfach, man sollte sich besser dran gewöhnen. Die Verlockung, als einfaches Mitglied der Gesellschaft in die Lage versetzt zu sein, mit seinen Sendungen ein viel größeres Publikum erreichen zu können, als dies jemals zuvor der Fall war, lässt uns überdies gelegentlich Dinge tun, die… fragwürdig sind.

Es stimmt, Kommunikation und Information haben die Chance demokratischer zu werden, ja sogar unser Leben demokratischer zu machen als sie dies je waren und das fasziniert Menschen und lässt sie die neu gewonnene Freiheit oft allzu hemmungslos ausleben. Dabei entsteht, wenn man so will, als Nebenprodukt Kommunikationshedonismus.

Doch das Hauptproblem liegt meines Erachtens an anderer Stelle: nämlich in der fortschreitenden Entgrenzung von Arbeit und Freizeit. Man könnte entgegnen, dass die Arbeitnehmer sich nun, zumindest teilweise, ihre Arbeit selbst einteilen können, sie so flexibler und familienfreundlicher gestalten… wenn da nicht die implizite, so gut wie niemals öffentlich geäußerte Erwartung des Arbeitgebers wäre, dass man dann aber als guter corporate slave, quasi als Dank dafür, dass er endlich seinen selbstverständlichen Verpflichtungen bezüglich der Fürsorge für seine Angestellten nachkommt auch verdammt noch mal mehr für sein Geld zu arbeiten hat. Flexibilisierung? Bullshit! Arbeitsverdichtung durch engeres Kuscheln kommt hier als passende Bezeichnung wohl eher in Betracht. Und dazu gehört auch dauernde Erreichbarkeit. Als wenn gleich der Betrieb zusammenbricht, wenn man mal nicht angerufen werden möchte, weil man die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit eh schon um 20% übererfüllt hat…

Wir werden im Betrieb und durch die Medien darauf dressiert, mediales Dauerfeuer zu ertragen und tragen diesen Sozialisationsaspekt in unser persönliches Umfeld weiter, wo dann irgendwann alle anfangen, einander zu drangsalieren, wenn mal nicht binnen 12 Mikrosekunden auf irgendwelche, zumeist auch noch belanglosen, Posts, SMS, Whatsapps oder sonst was geantwortet wird.

Man könnte daraus Suchtverhalten konstruieren. Man könnte auch einfach mal jemanden mit faulen Tomaten bewerfen, wenn er es sich frecher Weise erlaubt hat, einen in der Freizeit kommunikatorisch zu drangsalieren. Ich schalte mein Smartphone mindestens ein Drittel des Tages in den so genannten Flugmodus. Da empfängt es einfach nix. Oder lasse es unbeachtet in einer Schublade im Telefonschränkchen liegen. Wenn irgendjemand was wirklich Wichtiges will, gibt es so was antiquiertes wie Festnetz; oder er muss halt warten, bis ich wieder Lust und Zeit habe, dran zu gehen. Zu Haus gibt’s nämlich auch noch andere Dinge zu tun, als zu warten, dass endlich jemand anruft. Ich heisse ja nicht Max Rabe… „…kein Schwein ruft mich an…“. Ich lese zum Beispiel – echte Bücher! Lesen bildet nämlich. Nur nicht unbedingt das Lesen irgendwelcher Artikel von unnötigen Digitalentwöhnungscamps für reiche Hippster in Kalifornien. Das ist nämlich, einmal mehr, soweit weg von unserer buntrepublikanischen Lebensrealität, wie der Mond. Und investigativer Journalismus darf auch unterhaltsam sein; aber bitte nicht nur! In diesem Sinne einen schönen Tag.

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