Bitterer Spott für mich….

…oder wie man lernt, damit umzugehen, dass man nun selbst Träger eines Stigmas ist. Was ist das überhaupt, ein Stigma? Aus rein christlicher Sicht – für alle, die es nicht sowieso schon wissen – sind die Stigmata die Wundmale Christi, welche von der Kreuzigung herrühren. Doch in unserer modernen Nomenklatur ist ein Stigma ein Makel, der einer Person anhaftet und damit eine negative Reaktion von zumindest Teilen der Gesellschaft auf denjenigen hervor ruft. Ausländer zu sein wird zum Beispiel bei uns guten Deutschen gern als Makel eingestuft. Womit schon erklärt wäre, dass etwas, dass von Manchen oder auch Vielen Menschen als Makel empfunden wird und somit zur Stigmatisierung Anderer führt nicht tatsächlich auch ein Makel sein muss! Aber wir guten Deutschen kleben nun mal gerne Etiketten auf alles, so wie wir überhaupt bedrucktes Papier mit Titeln, Normen, Regeln, Gesetzen für Immer und Alles und Jeden anscheinend einfach brauchen. Und so entfalten Makel, obwohl sie gar nicht wirklich existieren, dennoch eine unheimliche Macht, weil wir guten Deutschen noch eines fast über alles Andere lieben – nämlich den Konformismus; oder besser die Gleichmacherei auf Teufel komm raus. Und wer nicht gleich gemacht werden kann, der ist ein Feind…

Nun naht der Punkt, da ich mich offenbaren muss, denn von nun an bin ich selbst einer, der Spott erhalten darf, ohne darum gebeten zu haben, ich bin nämlich als behandlungsbedürftig psychisch krank eingestuft worden: Depression lautet die vorläufige Diagnose und man kann sagen, dass es für mich fast befreiend ist, sagen zu dürfen, dass ich das schon länger geahnt habe, aber schlicht nicht wahr haben wollte.

Hier ist also mein Stigma; ich habe einen an der Waffel! Ups, pardon, so etwas sagt man doch nicht, nein, man tuschelt hinter vorgehaltener Hand und tut das, was der gute Deutsche, jetzt das Soziale betrachtend, schon immer am Besten konnte: man hetzt! Heutzutage nennt man das zwar Mobbing, was relativ wenig mit häuslicher Sauberkeit zu tun hat, weil Mobben bestenfalls Schmutz zu Tage zerrt, anstatt ihn zu beseitigen; dennoch bleiben die Effekte die Gleichen: man zeigt mit Fingern, stellt zumeist absurde Vermutungen über Ursachen und Folgen an und lässt den Betroffenen im Regen stehen, weil man befürchtet, das der Makel irgendwie ansteckend sein könnte.

Diese Schilderung wirkt dem Einen oder Anderen zu überzogen? Wir sind doch heutzutage viel aufgeklärter, informierter und sozialer als noch vor, sagen wir mal, 30 Jahren? Bitte, jetzt mal ehrlich, wer noch nie, nie, niemals in seinem Leben in irgendeiner Form ehrabschneidende, oder xenophobe, oder schlicht rassistische Bemerkungen gemacht oder gedacht hat, darf jetzt als Gutmensch vortreten und mich als Idiot beschimpfen. Wer einen bestimmten Ort, oder gar ein ganzes Land nicht boykottiert, weil er Fußballfan ist, der darf mich jetzt auslachen. Und wer noch nie seine kleinbürgerlichen Großmachtträume in Form von Gewaltphantasien ausgelebt hat, sei es am Computer oder sonst wie, der darf mich natürlich auch als Wasauchimmer bezeichnen! Irgend jemand?

Tja, da würde ich doch einfach mal behaupten, mehr als 95% aller Menschen haben eben gegen mich verloren, weil es irgendwie menschlich zu sein scheint, das Fremde zu fürchten, oder zu hassen, schlicht weil man es nicht verstehen kann (entweder Informations- oder Intellektmangel), oder nicht verstehen will (entweder Empathie- oder Intellektmangel). Und zum Fremden gehören eben auch psychische Erkrankungen. Mit der Diagnose „gebrochenes Bein“ kann jeder etwas anfangen, weil (so gut wie) jeder damit Schmerzen und einen Gipsfuß assoziiert. Doch was assoziiert man mit Depressionen? In milden Fällen vielleicht jemanden, der überarbeitet ist. Doch Viele denken eher an jemanden, der an „Schwenzelenzia Akuta“ leidet, der simuliert, sich auf ihre Kosten ausruht, oder aber daran, dass der Derjenige für sie oder ihre Lieben gefährlich sein könnte, weil der tut sich (und vielleicht auch mir) ja gleich was an…

Ich hasse dumme Menschen und es gibt so viele von ihnen! Undifferenziertes, immer Alles bis zur Unkenntlichkeit der wahren Tatsachen vereinfachendes und an der Suche nach Feindbildern orientiertes Denken führt dazu, dass man sehr komplizierte Sachverhalte darauf reduziert, die schlimmst-möglichen, denkbaren Eigenschaften eines Einzelnen Mitgliedes einer ganzen Gruppe von Individuen als faktisch vorhanden zuzuschreiben. Es gibt in der Tat psychisch Kranke, die für sich und Andere gefährlich sind. Daraus wird in der Volksdenke: „alle, die einen an der Waffel haben, gehören weggesperrt, damit sie nicht meine Kinder ficken!“ Bevor jetzt wieder irgend so ein dummer Mensch daher gelaufen kommt und „Stimmt doch!“ ruft, rate ich zum Versuch, unvoreingenommen darüber nachzudenken. Für alle, die sich für weitergehende Literatur zum Prozess der Stigmatisierung tatsächlich interessieren, sei als Lektüre Norbert Elias empfohlen. Dort findet man eine sehr aufschlussreiche Beschreibung.

Die Mechanismen der Ausgrenzung funktionieren auch im ach so aufgeklärten 21. Jahrhundert in unseren Köpfen ganz hervorragend und die Auswirkungen sind allenthalben spürbar. Ich durfte derlei viel zu oft selbst beobachten, als dass ich nicht dafür sensibel wäre. Genau aus diesem Grund glaube ich, dass man sich Gedanken über sein eigenes allzu leichtfertiges Abstempeln von Menschen mit Labeln wie „Ausländer“, „Prekariat“, „Bayernfan“ und eben auch „hat einen an der Waffel“ machen sollte. Diese Aufforderung enthält explizit auch eine aktive Komponente, nämlich derlei Unfug, wie alle über einen Kamm zu scheren in Zukunft bitte zu unterlassen; wenigstens soweit es einem möglich ist…

Was nun mich betrifft, so kann ich es eigentlich kaum erwarten, bis der Erste mich dumm anmacht. Ich hätte demjenigen soviel Unfreundliches zu sagen, dass mich allein der Gedanke daran erheitert. Aber ist genau dieser Gedankengang [Zitat: „Ich hasse dumme Menschen und es gibt so viele von ihnen!“] eigentlich nicht auch schon wieder eine Form von Stigmatisierung? Aber ich habe ja auch nie behauptet, dass ich besser als Andere wäre; nur anders bin ich und jetzt kann ich’s sogar beweisen! Für dieses Eingeständnis erwarte ich nichts und wünsche dennoch Allen einen schönen Tag.

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