Voll frei der Handel…

Ich könnte mich jetzt natürlich hinstellen und versuchen, weitschweifig darüber zu referieren, warum ich die Idee von TTIP, dem transatlantischen Freihandelsabkommen, über das momentan von Lobbyverbänden aus den beiden Wirtschaftsräumen EU und USA verhandelt wird schlecht finde. Doch das tun ja schon ziemlich Viele, ich will eigentlich eher auf etwas Anderes hinaus. Zum Referieren genügte jedoch irgendwie auch schon der erste Satz: Lobbyverbände und nicht etwa Volksvertreter verhandeln hier darüber, zu welchen Bedingungen die Teilnehmer der zwei Wirtschafträume in Zukunft miteinander interagieren sollen/dürfen. Will etwas vereinfacht skizziert heißen, die Chefs von Wirtschaftunternehmen bestimmen die Regeln des wirtschaftlichen Austausches. Der beinhaltet Löhne und Preise ebenso, wie die Bedingungen, zu denen gearbeitet werden muss. Eigentlich nichts Neues, nur dass man auf der anderen Seite des Atlantiks noch viel häufiger als hier auf Arbeitnehmer- und Konsumentenrechte, sowie auf Umweltschutz scheißt; und das mit großer Lust!

Und genau diese Misserrungenschaften drohen sich nun durch TTIP auch wieder bei uns auszubreiten, weil man sich bei den gemeinsamen Standards nicht an den halbwegs hohen europäischen orientieren will und gleichsam Wettbewerbsungleichheiten auf bestimmten Territorien beim jeweiligen Staat einklagbare Schadenersatzforderungen nach sich ziehen sollen. Woraus folgt, dass ein amerikanisches Unternehmen dann entweder Geld vom Staat, also Steuergelder als Ersatz für entgangene Gewinne einklagen könnte, oder aber das Recht, in einem beliebigen europäischen Staat zu den gleichen Bedingungen Geschäfte machen zu dürfen, wie in den USA: also Dumpinglöhne, Null Kündigungsschutz, saumäßige Arbeitsbedingungen, etc. Nicht, dass die Arbeitnehmerbewegung ein halbes Jahrhundert gebraucht hätte, um für die einfachen Arbeitnehmer halbwegs menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Von den höchst bescheidenen Umweltschutzgesetzen in den USA will ich gar nicht erst zu sprechen beginnen, denn da könnte ich eventuell überschäumen!

Zweifellos gibt es auch in den Staaten jede Menge vorbildlicher Klein- und Mittelständler, die es in jeder Hinsicht mit ihren europäischen Pendants aufnehmen können. Die so genannten Großkonzerne jedoch, deren einziges Glaubensbekenntnis Shareholdervalue lautet und die von Nachhaltigkeit ungefähr so viel verstehen, wie der durchschnittliche Bauarbeiter von Quantenphysik, betrachten ihre einfachen Angestellten als Orangen – die kann man super auspressen (Bauarbeiter mögen mir den Vergleich verzeihen, denn das ist ein ehrenwerter und sehr notwendiger Beruf – aber er hat halt nix mit Elementarphysik zu tun).

Natürlich ist es sehr vereinfachend von „den Konzernen“ zu sprechen, denn ein Unternehmen ist eine Entität, die aus vielen Individuen besteht, was die Sache erheblich kompliziert, weil hier natürlich nicht der allmächtige Mainframe „Wallstreetnet“ bestimmt, wo’s lang geht, sondern es sind ein paar wenige der dazugehörigen Individuen an der Spitze der Unternehmenspyramide, die durch ihre Entscheidungen über Wohl und Wehe der von uns Normalos zumeist als Persönlichkeitsfrei wahrgenommenen Entität „Großkonzern“ entscheiden. Wir neigen zwar dazu, solchen Entitäten menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, doch ein Konzern an sich hat nicht aus sich heraus Eigenschaften, oder einen Charakter, er erwirbt sie durch jene Menschen, die in ihm arbeiten und dabei selbstverständlich auch ihre Mentalitäten und Ideen mitbringen. Corporate Identity als eine Art von Subkultur ist damit ebenso ein prozessuales Konstrukt wie unsere gesamte Kultur. Sie unterliegt Veränderungen, so wie die Menschen in ihr Veränderungen unterliegen.

Nun ist es ziemlich schwer, herauszufinden, durch welche Mechanismen sich die in großen Unternehmen oft vorhandenen Traditionen und die von den Mitarbeitern mitgebrachten Verhaltensweisen und Mentalitäten gegenseitig beeinflussen und wie daraus dann eine Unternehmenskultur entsteht, die überdies – wie auch in der normalen Welt – immer wieder neu verhandelt werden muss. Es gibt zwar ein Wissenschaftsfeld, welches sich damit befasst, doch für so komplexe Systeme wie einen Großkonzern existiert bislang keine Entschlüsselungstechnik, welche uns das konkrete WIE verrät. Selbst das WARUM bleibt oft ein Rätsel, weil Menschen ihre Motive nicht unbedingt mitteilen.

Aus den zuvor angestellten Überlegungen ergibt sich für mich Folgendes: Auch wenn das gerne so verkauft wird, werden Entscheidungen nicht von irgendwelchen gesichtslosen Entitäten getroffen, sondern von einem derzeit begrenzten Menschenkreis, der in allererster Linie die Interessen eben jenes Personenkreises im Auge hat, nämlich Macht- und Ressourcenerhalt für diesen Personenkreis! Diesen Personen klar zu machen, dass ein nachhaltigeres Wirtschaften mittel- und langfristig deren wirtschaftliche Positionen eher stärken als schwächen würde – durch höhere Akzeptanz für das unternehmerische Tun, weil man selbst nun auskömmlicher leben kann, durch eine wiederum daraus erwachsende stabilere Binnennachfrage, durch die Dämpfung des Geldwertverfalls, welche aus der sich verringernden Notwendigkeit für ruinöse Preiskämpfe erwüchse, etc. – muss das Ziel eines jeden Widerstandes gegen TTIP sein. Nur wenn man die Menschen, welche Entscheidungskompetenzen besitzen, wirklich erreicht, kann man einen echten, anhaltenden Mentalitätswandel in Gang bringen, der letzten Endes auch einen Kulturwandel bedeuten würde. Und unsere wirtschaftliche Kultur ist dringender reformbedürftig, als irgendetwas sonst!

Zweifellos ist dies ein schwieriges Unterfangen, denn aus der Sicht des eben schon beschrieenen Normalos ist die Welt jener Menschen, die solche Entscheidungen treffen oder zumindest beeinflussen können mindestens ebenso fremdartig, wie Mittelerde es wäre. Doch eines ist gewiss – das sind auch nur Menschen, die nur mit Wasser kochen (bzw. gekocht bekommen), die zum Kacken auf’s Klo gehen und bluten, wenn sie sich schneiden. Diesen derzeit Außerirdischen ihre irdische Herkunft und die daraus erwachsenden Verpflichtungen wieder ins Gedächtnis zu rufen, braucht es eine sehr laute Stimme, die überdies Wahrheit spricht. Ich will gerne meinen Teil dazu tun, dass diese Stimme laut und deutlich genug wird, unsere Wahrheit auch wieder zu deren Wahrheit zu machen. Aber wie sieht’s mit euch da draußen aus? Lasst mal hören…

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