Ist Forschung sozial?

Das ist so eine Sache mit der Sozialforschung. Ich musste mich im letzten Jahr damit befassen, da ein Studium der Bildungswissenschaft zwangsläufig nach einer gewissen Methodenkenntnis verlangt. Ich käme nie auf das schmale Brett, mich bezüglich Statistik mit einem Psychologen oder Soziologen vergleichen zu wollen, die machen ja bekanntlich fast alles damit; egal, ob es Sinn macht oder nicht. Aber wenn ich so auf meine Studien zurück blicke, komme ich nicht umhin, mich zu fragen, was genau ich da gelernt habe…

Dies soll kein despektierlich‘ Reden sein, aber mein Vertrauen in die Möglichkeiten der Sozialforschung wurde, zumindest hinsichtlich der quantitativen Methoden, eher erschüttert denn aufgebaut. Was eventuell daran liegen könnte, dass die zwangsläufig mit klassischen Erhebungsmitteln wie etwa Fragebögen einher gehenden Simplifikationen meines Erachtens die subjektive Perspektive derart beschneiden, dass es kaum möglich bleibt, sinnvolle Erkenntnisse über deren Bedeutungszuschreibungen zu gewinnen. Denn das Subjekt – oder in Normalsprech der Mensch – soll doch sein, worum es bei „Sozial“-Forschung gehen soll … oder? Nun ist es so, dass es in der wissenschaftlichen Welt einen sehr langen und umfangreichen Disput darüber gibt, auf welche Art man soziale Sachverhalte erforschen kann und soll. Ich habe offensichtlich aus meinen Erfahrungen und Studien heraus eher eine Verbindung zu den, so genannten qualitativ-interpretativen Ansätzen entwickelt, was daran liegen mag, dass ich die Zuverlässigkeit statistischer Instrumente für fragwürdig halte, sobald es um die Erfassung des sozialen Binnenraumes geht.

Warum ich davon spreche? Ich hatte neulich eine zugegeben zu kurze Online-Diskussion mit einem Sozialwissenschaftler, der den Bologna-Prozess – also die Entwicklung hin zu Europaweit einheitlichen Bachelor- und Masterabschlüssen an Universitäten – für totalen Käse hält, weil die Vergleichbarkeit der Ergebnisse einzelner Studenten nicht gegeben sei. Er meinte, es gäbe keine einheitlichen Qualitätskriterien, es würde nur innerhalb einzelner Kurse bzw. Jahrgänge gemessen, was diese neuen Bildungsabschlüsse entwerten würde. Das hat mich natürlich schon nachdenklich gemacht, weil er damit irgendwie meine neben einem Vollzeitjob her betriebenen, durchaus anstrengenden Fortbildungsbemühungen quasi en passant für wertlos erklärt. Das hat mich vor den Kopf gestoßen!

Die Diskussion drehte sich auch um Sinn und Unsinn unseres Bildungssystems in seiner jetzigen Form aber das führte hier zu weit. Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Forschungsergebnisse in den Sozialwissenschaften sind IMMER erheblich von der Deutungsperspektive des Forschers und der Wahrnehmung durch die Rezipienten abhängig. Somit ist es Verschwendung von Papier oder Online-Bandbreite, einfach irgendwelche – womöglich auch noch aus dem Zusammenhang gerissene – Kennzahlen für den Wert von Bildung zu zitieren. Die Biographie, sowie Lebens- und Arbeitsumstände des Forschers nehmen genauso Einfluss auf den Zuschnitt von Forschungsvorhaben, wie dies die Wahrnehmung durch die Scientific Community in Bahnen lenken kann; vom Erkenntnisinteresse des Auftraggebers irgendeiner Studie ist hier noch nicht einmal die Rede. Dass man mittels Daten das Eine oder das Andere „beweisen“ kann, wenn man sich nur Mühe gibt, sieht man an der Qualität so mancher Studie, die dann gerne im Marketing genutzt wird. Ein Blick auf Volker Pispers Beitrag zum Thema McKinsey kann hier helfen, die Augen zu öffnen.

Es liegt mir fern, jemandem, der schon deutlich mehr akademische Meriten gesammelt hat als ich, ans Bein pissen zu wollen. Aber hinsichtlich des Wertes von Diesem oder Jenem stelle ich lieber mal eigene Beobachtungen an. Und mit einem durch zwei Jahrzehnte Arbeit mit Menschen durchaus gut geschulten Blick auf allzu Menschliches verlasse ich mich manchmal auch – vollkommen unwissenschaftlich – auf meine Intuition. Es erscheint mir daher auch allzu billig, auf das „verschulte“ Studium durch die Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse zu schimpfen, wenn eigentlich die Verantwortung für die individuelle Qualität des Abschlusses, übrigens auch schon zu Zeiten von Diplom und Magister vor allem beim Studiosus selbst zu suchen wäre. Vielleicht wäre es hilfreich, das System auf den Prüfstand zu stellen; aber eben nicht nur das System, sondern auch die Menschen, welche es konstituieren. In diesem Sinne eine schöne Woche!

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