Chancengleichheit 3.0 – Egobonzen vs. Umverteiler

Ich weiß, dass man speziell, wenn man sich mit Pädagogik beruflich beschäftigt mehr oder weniger implizit dazu angehalten ist, zu denken, dass alle Menschenkinder zunächst einmal gleich veranlagt sind, ausgestattet mit gleichen Entwicklungschancen, gleichen mentalen Ressourcen, den gleichen Anrechten auf eine vernünftige Bildung. Kurz gesagt liegt dem ein positives Menschenbild zu Grunde, welches uns dazu anhalten soll, jedem die bestmögliche Umgebung zu bieten, auf dass er sein volles Potential entfalten möge. (Für alle Genderism-affinen Menschen: Mir ist wurscht, ob hier Sprache als soziales Konstrukt männlicher Dominanz betrachtet wird, oder nicht: Mädels und Jungs sind bei den folgenden Betrachtungen in jeder Hinsicht gleichwertig) Finde ich wirklich gut, ich stehe total auf Chancengleichheit und glaube an das Prinzip der Solidargemeinschaft. Nur ist schulische Chancengleichheit im Angesicht sozialer Ungleichheit auf den Straßen und in den Häusern unseres Landes eine schlichte Illusion! Und das hat – pardon, aber die Wahrheit tut nun mal weh – nicht nur mit schlechter Pädagogik in der Schule zu tun, sondern auch, nein vor allem, mit schlechter Erziehung zu Hause!

Man weiß um die negativen Effekte, welche eine Herkunft aus niedrigen sozialen Milieus für die Kinder hat. Vollkommen gleichgültig, welche der vielen soziologischen Theorien zu diesem Themenkomplex man auch bemühen will, eines bleibt bei den meisten als empirisch feststellbare Aussage erhalten: die soziale Herkunft ist zu einem nicht unerheblichen Teil mitbestimmend für den beruflichen und sozialen Erfolg im späteren Leben. „On a cold and grey …….. morning, another baby child is born in the ghetto…“ Meines Erachtens Elvis‘ bester Song. An Stelle der Punkte darf man den Problemstadtteil der eigenen Heimat einsetzen, die Grundaussage stimmt, wenn auch in unterschiedlichem Maße, überall.

Doch das eben vermutlich häufiger beobachtbare Kopfnicken vor den Bildschirmen beruht leider auf einem Denkfehler: nämlich dass die armen Kinder ja nix für ihre Eltern können. Tja… und was konnten die für ihre Eltern und jene für deren Eltern? Soziale Ungleichheit und alles was an Negativa daraus immer wieder für die Kids erwächst, ist nicht letzte Woche entstanden, oder in den 80ern, als die Musik krass und die Mode grottig waren; sondern sie präserviert sich von Generation zu Generation, seit es viel Habende und wenig Habende gibt. Und das ist schon sehr viel länger der Fall, als es unsere Nation in aktueller Form gibt.

Man mag Marx aus wissenschaftlicher Sicht eine Menge methodischer Fehler vorwerfen können, aber seine Diagnose, dass das Sein das Bewusstsein bestimme ist zumindest dem Grundsatz nach nicht falsch. Dies soll keine Entschuldigung sein, für all die lebensuntüchtigen „Dschennifers“ und „Dschoäls“, die all überall, in Ermangelung vernünftiger Vorbilder zu Prekariatsverfestigern (v)erzogen werden. Was da zu Hause schief läuft, KANN Schule, oder auch Berufsschule unmöglich wieder richten. Das ist aber keine valide Ausrede, dem Problem nicht schon viel früher zu begegnen. Unser Bildungswesen koppelt teilweise ganze Stadtteile von vernünftiger, situationsadäquater Erziehung und Bildung ab, weil man lieber tonnenweise Geld in überteuerte Rüstungsprojekte, vollkommen fehl geplante Tiefbahnhöfe und Flughäfen, oder den bereits mehr als ausreichend gepuderzuckerten Arsch der Pharmaindustrie bläst, anstatt sich der tatsächlichen Zukunft unseres Landes anzunehmen. Und was tun die Menschen, die es, wie stets selbst in der Hand hätten, etwas für bzw. gegen eine Sache zu tun? Sie arbeiten sich an einem Entwurf zu einem neuen Landesbildungsplan ab, der ihrer Meinung nach zu viel Wert auf den Regenbogengedanken legt, anstatt den Umstand kritisch zu bewerten, dass sich gemäß den vorliegenden Papieren schulische Bildung selbst im Gymnasium mittlerweile immer mehr an späterer wirtschaftlicher Verwertbarkeit der erworbenen „Kompetenzen“ orientiert, anstatt des – alten, aber deswegen nicht schlechten – Ideals humanistischer Menschenbildung.

Aber das ist nicht das einzige Problem: das andere, immer schlimmer werdende Problem sind jene Eltern vom (gefühlt) anderen Rand des sozialen Spektrums, die den Gedanken einer solidarischen, alle Kinder gleichmäßig bildenden Schule von vorn herein verwerfen und auf die bestmögliche Vorbereitung ihres Kindes auf das Berufsleben pochen – als wenn eine durchschnittliche 12-Jährige, die gerade erst beginnt, herauszufinden, wer sie selbst einmal sein könnte, schon einen Plan bis zum Master-Abschluss hätte, bzw. bräuchte. Verwertungsinteressen. Ich sehe manchmal überall nur noch durchgeknallte Selbst- und Familienoptimierer mit Köpfen voller Verwertungsinteressen. Die größten Errungenschaften der Menschheit wurden allerdings mit Hilfe anderer Tugenden als lediglich Fleiß, Disziplin, Folgsamkeit und Angepasstheit erreicht – mit Mut, Inspiration, Experimentierfreude, Zähigkeit, der Fähigkeit interdisziplinär zu denken; und vor allem miteinander!

Egobonzen vs. Umverteiler – beide haben bestenfalls zum Teil Recht, ausbaden jedoch müssen es immer unsere Kinder. Das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein? Man könnte vieles tun, aber indem man immer nur an diesem oder jenem Schräubchen dreht, behandelt man nur jeweils einzelne Symptome, ohne jemals das Problem en complet anzugehen. Aber dazu braucht es Mut, Inspiration, Experimentierfreude, Zähigkeit, den Blick über den Tellerrand; und eine Neuinterpretation von Solidarität. Wären unsere Kinder nicht ein Wagnis wert?

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